„Das Glück des einen Volkes hängt vom Glück des anderen Volkes ab“

veröffentlicht 18.12.2025, Evangelisches Dekanat Ingelheim-Oppenheim

Vortragsabende des Dekanats gaben Menschen, die sich in Israel und der Westbank für Versöhnung einsetzen, Raum und Stimme

Wie kann angesichts von Terror, Krieg und wachsendem Misstrauen noch über Versöhnung gesprochen werden? Mit dieser Frage beschäftigten sich in den vergangenen Wochen mehrere Gesprächs- und Vortragsabende zur aktuellen Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ziel der Veranstaltungen war es, Menschen eine Stimme zu geben, die sich trotz der Eskalation weiterhin für Dialog und Verständigung zwischen Israelis und Palästinenser:innen einsetzen. Organisiert wurden die Abende vom Evangelischen Dekanat Ingelheim-Oppenheim in Kooperation mit dem Zentrum für Oekumene und dem Deutsch-Israelischen Freundeskreis Ingelheim.

Besonders eindrücklich waren die Abende in Bingen-Büdesheim und Dienheim mit der christlichen Palästinenserin Hiam Abu Dayeh. Als Leiterin der Initiative „Abrahams Zelt“, einer Begegnungsstätte der arabisch-lutherischen Gemeinde in Beit Jala für Angehörige von Judentum, Christentum und Islam, schilderte sie anschaulich die alltägliche Not, aber auch die wachsende Perspektivlosigkeit vieler Menschen. Zugleich betonte sie: „Wir Palästinenser haben eine große Sehnsucht nach Frieden. Ohne die Hoffnung darauf könnte ich nicht weiterleben.“

Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und den folgenden militärischen Auseinandersetzungen scheint eine solche Hoffnung für viele Menschen jedoch in weite Ferne gerückt. Das von Hiam Abu Dayeh zitierte Wort des Pastors von Beit Jala, Jadadallah Shehade – „Das Glück des einen Volkes hängt vom Glück des anderen Volkes ab“ – verblasst vor dem Hintergrund der Gewaltspirale. Und doch hält es immer noch eine Wirklichkeit fest, an der beide Seiten nicht vorbeikommen.

Wie unter diesen Bedingungen dennoch an Verständigung gearbeitet werden kann, stand im Mittelpunkt eines weiteren Vortragsabends in der Ingelheimer Versöhnungskirchengemeinde. Dort berichtete Torsten Reibold, Europarepräsentant der israelischen Bildungs- und Begegnungsorganisation Givat Haviva, über deren Arbeit. Seit 1963 engagiert sich Givat Haviva für den Dialog zwischen jüdischen und arabischen Bürger:innen Israels – insbesondere durch Bildungs- und Begegnungsprogramme für junge Menschen, die Vorurteile abbauen und Vertrauen ermöglichen sollen.

Der Politikwissenschaftler Reibold skizzierte zunächst die gesellschaftlichen Folgen des 7. Oktober für Israel. Der Anschlag und die anschließenden Kriegshandlungen forderten mehr als 1.200 Todesopfer und zehntausende Verletzte. Noch gravierender seien jedoch die psychischen Auswirkungen: Schätzungen zufolge leiden mehrere Millionen Menschen in Israel an posttraumatischen Belastungsstörungen – sowohl in der jüdischen als auch in der arabischen Bevölkerung. Hinzu komme die soziale Dimension des Krieges: Die enormen Kosten der militärischen Auseinandersetzung belasteten den Staatshaushalt erheblich und verschärften bestehende soziale Ungleichheiten. Bereits jetzt lebt ein erheblicher Teil der israelischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die seit 2025 wieder aufgenommenen Begegnungsprogramme von Givat Haviva wie ein vorsichtiger Hoffnungsschimmer. In einer Zeit, die von Angst, Misstrauen und gegenseitiger Entfremdung geprägt ist, setzen sie bewusst auf langfristige Beziehungsarbeit statt auf schnelle politische Lösungen. Oder, wie Torsten Reibold es formulierte: „Beide Seiten wissen, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben.“