#MonatsImpulse

Liebe Leserin, lieber Leser, hier lesen Sie am jeweils letzten Freitag im Monat einen neuen #MonatsImpuls, geschrieben von unseren Pfarrerinnen und Pfarrern im Evangelischen Dekanat Ingelheim-Oppenheim.

#MonatsImpuls August 2024

"Nie wieder ist jetzt"

Liebe Leserin, lieber Leser,

"Es mag einer tätig sein, wo immer er soll. Er darf nie vergessen, dass die Nation nur lebt durch die Arbeit aller!"

Klingt ganz gut, oder? Das Zitat stammt von Adolf Hitler…

Ja, Worte können Gift sein – mögen sie noch so unscheinbar, harmlos oder sogar gefällig daherkommen. Ich habe diese Worte gefunden in einem Mitgliedsbüchlein der Deutschen Arbeitsfront. Es hat meinem Opa gehört. Es lag in einem Kästchen zusammen mit einigen Briefen aus Russland. Mein Opa war ein guter Mensch, herzlich und lieb zu uns Kindern. Aber er hat schreckliche Dinge gesehen und er hat sehr wahrscheinlich auch schreckliche Dinge getan an der Ostfront. Unter anderem wegen dieser Worte.

Worte können Gift sein und sie töten schleichend.

Wir erleben das gerade wieder. Es gibt so etwas wie eine Renaissance des vergifteten Wortes – in Deutschland, überall auf der Welt. Wie gehen wir damit um in diesem Wahlkampf-Herbst?

Luther soll gesagt haben: "Pfaffen sollen beten, nicht regieren."

Also bloß nicht politisch einmischen.

So lebt es sich bestimmt gut, nicht nur als Pfarrer. Aber wir sollten uns das gut überlegen. Denn ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns ernsthaft fragen müssen, was wir eigentlich einmal unseren Kindern oder Enkeln sagen werden, wenn die uns fragen: "Was hast du gemacht, als Populismus, Hass, Lüge und Angst wieder salonfähig wurden?" Sollen wir dann sagen: "Ich wollte mich nicht politisch einmischen?"

Es geht nicht darum, irgendeinen Politiker zu nennen. Die Namen sind austauschbar. Es geht um das Gift, das uns eingeflößt wird – schleichend, aber tödlich.

Hass, Lüge und Erniedrigung zu predigen oder damit zu kokettieren ist nicht einfach nur niveaulos. Das ist zersetzend und zerstörend. Der Tod jeder Kultur und damit letztlich unser Tod. Wollen wir diesem Gift tatsächlich Raum geben? Wollen wir lieber schweigen und abwarten, weil es vielleicht doch nicht so toxisch ist, wenn es sich erst einmal etabliert hat?

Mischen Sie sich ein, bitte!

Auch und gerade jetzt. Denn es gibt eine Kultur, von der Europa seit Jahrtausenden weiß - auch wenn es in der Umsetzung oft hapert. Es ist die Kultur der Mitmenschlichkeit, der Nächstenliebe – so nennen es Juden und Christen. "Dikaiosyne" nannten es die Griechen, "zakat" nennt es der Islam.

Es ist die Kultur, die in jedem Menschen eine Würde entdeckt und die hoffnungsfroh um Frieden ringt. Eine Kultur, die auf Ausgleich bedacht ist zwischen reich und arm, Starken und Schwachen und die auf Anmaßung verzichtet und demütig bleibt. Diese Kultur gilt es hochzuhalten und zu leben. Das ist das wirksamste Mittel gegen den Populismus. Das ist nicht leicht, nein. Aber die Alternative ist der Tod durch Vergiftung.

Stehen Sie für diese Kultur ein! Denn die Namen aller 300 Millionen Kriegstoten des letzten Jahrhunderts geben Ihnen Recht, nicht den Demagogen.

Ihr Pfarrer Simon Meister

#MonatsImpuls Juli 2024

" Für uns Christ:innen ist der Maßstab, was recht ist, die Botschaft der Bibel"

„Wir sind mehr“, skandierten die Menschen, während einer Rede, die ich am 4. Februar 2024 im Dollespark in Bodenheim gehalten habe. Dort hatten sich Hunderte von Menschen versammelt, um gegen jegliche Form von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und für Demokratie und Vielfalt zu demonstrieren. Zuvor hatten diejenigen, gegen die sich diese Proteste richteten, für sich reklamiert, für die schweigende Mehrheit zu sprechen.

Noch ist nicht entschieden, welche Mehrheit sich bei den drei im September 2024 stattfindenden Landtagswahlen bilden wird, aber ich hoffe, dass das Ergebnis der Wahlentscheidungen dem Monatsspruch für Juli entspricht: „Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.“ (2. Mose 23, 2) Oder etwas anders und positiv ausgedrückt: Du sollst dich denjenigen anschließen, die sagen und tun, was recht ist.

Für uns als Christ:innen ist der Maßstab dessen, was recht ist, die Botschaft der Bibel,

  • die jedem Menschen als Ebenbild Gottes eine unverlierbare Würde zuspricht, unabhängig von Herkunft, Abstammung und Religion,
  • die uns im achten Gebot ermahnt „kein falsches Zeugnis zu reden“, d. h. über unsere Mitmenschen keine Lügen zu verbreiten und Fake News („in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen“) in den sozialen Medien kein Gehör und keinen Glauben zu schenken,
  • die uns mit der „Goldenen Regel“ (Mt 7,12) dazu anhält, jeden Menschen so zu behandeln, wie man selbst auch behandelt werden will.

Mir ist es wichtig, diese Botschaft nicht nur in Gottesdiensten zu verkündigen, sondern auch außerhalb der Kirchengemeinde öffentlich zu vertreten und dadurch in die Bürgergemeinde, in ein Gemeinwesen hinein zu wirken.

Anlass für meine Beteiligung an der Demonstration war mein Erschrecken über das von vom „Recherchenetzwerk Correctiv“ aufgedeckte geheime Treffen in Potsdam. Dort wurden Pläne geschmiedet, Menschen mit ausländischen Wurzeln aus Deutschland zu vertreiben. Es war mir ein großes Anliegen, als Pfarrerin und zugleich stellvertretend für unzählige Christ:innen Stellung zu beziehen und klar zu sagen, dass die menschenverachtenden Äußerungen und Ziele, die sich mit dem Wort „Remigration“ verbinden, mit christlichem Gedankengut unvereinbar sind, dass diese der Botschaft und dem Geist Jesu Christi zutiefst widersprechen.

Doch darüber hinaus kommt es entscheidend darauf an, dass diese christlichen Werte jeden Tag neu verteidigt werden:

  • wenn ein Arbeitskollege eine diskriminieren Äußerung macht,
  • wenn im Internet rassistische oder ausgrenzende Bilder und Inhalte verbreitet werden und in WhatsApp-Gruppen geteilt werden,
  • wenn jemand in einem Gespräch rechtspopulistische Positionen relativiert und verharmlost,

dann gilt es dagegenzuhalten, Flagge zu zeigen und für unsere christlichen Überzeugungen und Werte einzustehen.

Zeigen wir also Zivilcourage und sorgen wir dafür, dass der Ruf „Wir sind mehr“ nicht nur eine Behauptung, sondern eine überall sichtbare Realität ist.


#MonatsImpuls Juni 2024

„Hören, wie der Klang den Raum erfüllt, spüren, wie die Musik mich glücklich macht“

Mein Lieblingsplatz in jeder Kirche ist – wen wundert es – die Orgelbank. Kaum sitze ich hier, greifen meine Hände nach den Tasten, und ich schlage die ersten Töne an. Ich möchte hören, wie der Klang den Raum erfüllt, spüren, wie mich das Orgelspiel glücklich macht. Abends allein im Kirchenraum und dann die Stille brechen mit den ersten Tönen, da kann ich gut abschalten, auch wenn es mir mal nicht so gut geht. Weil ich derzeit ein Orgelkataster im Dekanat Ingelheim-Oppenheim erstelle, sitze ich seit geraumer Zeit auf vielen mir unbekannten Orgelbänken. So lerne ich die verschiedensten Orgeln kennen, werfe einen Blick hinter die Orgelprospekte und begutachte die hochkomplexe Technik dieses Instruments, die mich von Jugend an immer schon fasziniert hat.

Für mich ist das Erkunden einer neuen Orgel wie das Kennenlernen eines Freundes. Und was ich dabei besonders genieße, ist, dass jedes Instrument einen ganz anderen Charakter hat. Jede Orgel fühlt sich anders an und wenn ich mehrmals in einer Kirche spiele, dann habe ich schon im Vorfeld im Gefühl, wie die Orgel klingen wird, ob sie z. B. oben zu mir auf die Empore rausklingt oder in den Kirchenraum.

So löst jede Orgel etwas anderes in mir aus – ähnlich wie es die unterschiedlichen Komponisten und Musikstücke, die ich in meinem Berufsleben bisher gespielt habe, tun. Am Schönsten ist es natürlich, wenn ich weiß, dass ich den Menschen mit meinem Spielen eine besondere Freude mache. So war es z. B. vor kurzem, als ich bei einer Aufführung auf Wunsch ein besonderes Musikstück auf der Orgel gespielt habe. Dann spüre ich wieder, dass der Organistenberuf wirklich mein Traumberuf ist.


#MonatsImpuls Mai 2024

Schenken und dabei Gutes tun - was tun, wenn alle Wünsche erfüllt sind?

Liebe Leserin, lieber Leser,

kennen Sie das auch: Es gibt Menschen, da fällt es mir von Jahr zu Jahr schwerer, eine Idee für ein Geschenk zu finden. Spiele ich den Ball zurück und frage konkret nach dem, was sich die Person wünscht, erhalte ich häufig die Antwort: „Nichts, ich habe alles“. Das ist die Art von Antwort, die ich fast fürchte und so gar nicht bekommen möchte. Denn wenn ich ein Geschenk mache, möchte ich meinem Gegenüber ganz materiell etwas Gutes tun. Und Gutes tun beim Schenken beinhaltet für mich: dass das Geschenk zu den Eigenschaften, den Interessen, der Lebensgeschichte und der Lebenssituation meines Gegenübers passt. Es soll ihm oder ihr ein Lächeln auf das Gesicht zaubern. Mit meinem Geschenk möchte ich sein bzw. ihr Herz berühren. Wenn ich das schaffe, dann verspüre ich Freude, dann bin ich glücklich und mein Gegenüber auch.

Aber gerade das ist eine ziemlich große Herausforderung, denn wir leben in einer Welt, in der sich jeder und jede oft die eigenen Wünsche bereits selbst erfüllt hat. Dann leuchtet mir die Antwort „Nichts, ich habe alles“ ein. Dennoch versuche ich immer wieder, ein passendes (materielles) Geschenk zu finden.

Auf der anderen Seite antworte ich seit einigen Jahren, wenn ich nach meinen Geburtstagswünschen gefragt werde: „Ich wünsche mir, dass du mich mit ein bisschen Zeit im Gepäck besuchst oder mich anrufst“. Ich brauche nichts Materielles damit ich glücklich bin. Menschen tun mir Gutes, wenn sie an mich denken und Zeit für mich haben. Mittlerweile ist mir klar geworden, dass meine eigene Einstellung im Widerspruch zu meinem Bestreben steht, jemanden an seinem Geburtstag etwas (materiell) Gutes zu tun.

Wen wundert es deshalb, dass ich Anfang Mai bei einem Radiobeitrag im SWR, den SWR- Gedanken, die Ohren spitzte. Erzählt wurde die Geschichte einer Frau, die keine Lust mehr hatte sich an den mittlerweile sehr häufigen, obligatorischen „Sammelgeschenken“ zu beteiligen, die sie oft nicht gut fand. Aber gar nichts zu schenken, kam für sie auch nicht in Frage. Mittlerweile ist sie dazu übergegangen, ihren Freundinnen und Freunden eine Geburtstagskarte zu überreichen, der eine Spendenbescheinigung für eine gute Sache beigelegt ist. Der Zweck der Spende liegt dem bzw. der Beschenkten besonders am Herzen. Ganz dem Prinzip folgend: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Diese Idee setzte sich in meinem Kopf fest. Das wollte ich ausprobieren.

Eine meiner Schwestern hat Ende Mai Geburtstag, und ich weiß, dass sie seit Jahren den Weihnachtsmarkt des Tierheims in ihrer Heimatstadt besucht und dann etwas für den Erhalt, die medizinische Versorgung und den Kauf des Futters spendet. Tiere, insbesondere Hunde, liegen ihr einfach sehr am Herzen. Ich habe mir also überlegt, dass auch ich etwas für dieses Tierheim spende. Die Spendenquittung lege ich dann in die Geburtstagskarte für meine Schwester bei und erkläre ihr das dann. So kann ich meiner Schwester und dem Tierheim Gutes tun. Ich bin sehr gespannt, ob ich damit ihr Herz berühren werde. Ein Versuch ist es auf jeden Fall wert.