„Ich freue mich sehr auf die nächsten 277 Jahre“

veröffentlicht 24.10.2025, Evangelisches Dekanat Ingelheim-Oppenheim

Die Gensinger Martinskirche berichtet von ihrem großen Tag – eine feuilletonistische Reportage über die Wiedereinweihung von Hilke Wiegers

Wie habe ich darauf gewartet, auf diesen Tag, an dem sich meine Kirchenbänke endlich wieder für einen Gottesdienst füllen. Sechs Jahre ist es nun her, dass mich ein fürchterlicher Blitzschlag so richtig durchgerüttelt hat. Zum Glück, muss man sagen – denn sonst hätte niemand bemerkt, was mich schon lange plagte: Mein Dachstuhl hatte unter dem Zahn der Zeit erheblich gelitten und schwankte sogar leicht, wenn die Glocken läuteten. Vor vielen Jahrzehnten hatten es die KirchenvorsteherInnen und der Pfarrer zu gut mit mir gemeint, denn sie ließen, damit der Glockenklang noch weiter zu hören sein sollte, viel zu schwere Glocken in mein zartes Kirchtürmchen einbauen. Sicher, sie läuteten wunderschön, und ich war sehr stolz auf sie – doch die Glocken waren schlicht zu schwer für meine Statik und brachten mich ins Wanken. Heute aber ist alles wieder in Ordnung: Der Turm ist mit einem Stahlgerüst verstärkt, und mein Dachstuhl ist durch die sorgfältige Arbeit der Handwerker wieder stabil und gesund.

Als der 21. September näher rückte – der Tag meiner Wiedereinweihung – spürte ich, wie die Aufregung wuchs. Die Grünanlagen um mich herum wurden hergerichtet, und ein Jubiläumsteam aus Pfarrer, Gemeindesekretärinnen und Kirchenvorsteherinnen plante, wie dieses besondere Fest gestaltet werden sollte. Ein eigenes Logo wurde entworfen, Fahnen, Beachflags, Einladungen und Etiketten wurden damit geschmückt, und ich war ganz gerührt, wieder einmal künstlerisch festgehalten zu werden. Das ist mir in der Vergangenheit ja schon mehrfach passiert – nachzulesen auch in der Gensinger Chronik.

Das Fest wurde zur Gensinger Kerb gefeiert. Das passte prima, denn „Kerb“ bedeutet nichts anderes als „Kirchweihe“. Dieses bis heute beliebte Fest geht also ursprünglich auf meine Einweihung vor bald 277 Jahren zurück. 277 Jahre! Ich finde, ich habe mich für mein Alter doch wirklich gut gehalten, oder? Mein Inneres ist dank liebevoller Pflege freundlich und hell geblieben, meine Elektrik ist neu und modern, und mein kleiner Liebling – die kostbare Stumm-Orgel – hat die Renovierung unbeschadet überstanden. Davon konnten sich die BesucherInnen beim feierlichen Konzert unseres Organisten Wolfgang Reimann am Nachmittag der Wiedereinweihung überzeugen.

Schon Tage vor dem Fest sah ich, wie ein großes Zelt in meiner Kirchgasse aufgebaut wurde. Im Gemeindehaus liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren: Es wurde geplant, dekoriert, etikettiert und sogar ein eigens gebrautes Festbier und Sekt mit meinem Jubiläumskonterfei versehen. Ich bin besonders dankbar für den Einsatz unserer umsichtigen Gemeindesekretärinnen Annette Heide und Renate Willimzik.

Am Freitag vor der festlichen Einweihung wurde es dann richtig lebendig zu meinen „Füßen“: KonfirmandInnen steckten bunte Bömmelchen an Stäben in die Beete – ein fröhlicher Anblick, der wunderbar zu meinem frisch renovierten, weißen Äußeren passte. Tische wurden aufgebaut, Pavillons errichtet, denn leider war für den Festsonntag Regen vorhergesagt. Ich war gespannt – und ein wenig nervös –, wie viele Menschen trotz der Wetterlage kommen würden.

Am Sonntag schließlich strömten die Menschen in Scharen herbei: Familien, junge und ältere Menschen, kirchliche Prominenz wie der Dekan des Evangelischen Dekanats Ingelheim-Oppenheim, Pfarrer Olliver Zobel, und Pfarrer Markus Lerchl, leitender Pfarrer der Katholischen Pfarrei Heilige Hildegard von Bingen, Rhein und Nahe sowie zahlreiche KommunalpolitikerInnen. Ich war zu Tränen gerührt: Die Bänke füllten sich, die Empore ebenfalls, und sogar die geschützten Plätze vor meiner Tür waren besetzt. Dann erklang die Musik – Orgel, Chor, Gemeindegesang – und mein Herz wurde weit. Die Dialogpredigt von Pfarrer Markus Weickardt und Pfarrerin Svenja Prust war ein Genuss – voller Humor und Tiefgang.

Zum Glück ließ der Regen nach dem Gottesdienst nach. Die Menschen blieben, unterhielten sich, genossen Speis und Trank und die fröhliche Atmosphäre. Von diesem Tag werde ich noch lange zehren. Und ich bin schon jetzt gespannt auf alles, was nun wieder in meinen Mauern stattfinden darf: Taufen, Trauungen, Konzerte – und hoffentlich auch neue Ideen, wie mein Inneres weiter lebendig bleiben kann: Theater, Kabarett, Gymnastik, Kunst, Lesungen – warum nicht?

Ist es also ein Wunder, dass ich mich jetzt auf die nächsten 277 Jahre freue? Und ich wünsche mir, dass viele Generationen ihre Freude an mir haben.

Es grüßt Euch die allseits gefeierte und sehr stolze Gensinger Martinskirche ;-)