Vom Privileg des religiösen Menschen, von einer besseren Welt zu träumen

© Hilke Wiegers

Über 50 Interessierte waren zu dem von Evangelischem Dekanat und Volkshochschule Bingen organisierten 18. Interreligiösen Gespräch gekommen, um sich über die Haltung zweier Religionsvertreter des Islams und des Judentums gegenüber diesem wohl weltweit am meistbeachteten Konflikt im Nahen Osten zu informieren und darüber zu diskutieren.

(23.02.2025) „Die Geschichte des Nahost-Konfliktes ist eine Geschichte der unerfüllten Träume. Dieses Interreligiöse Gespräch war gut, es war auch mal emotional, das war aber auch richtig angesichts dieser menschlichen Tragödie im Nahen Osten. Ich habe viele Dinge gehört, über die ich noch weiter nachdenken möchte“, mit diesen Worten schloss der Dekan des Evangelischen Dekanats Ingelheim-Oppenheim, Pfarrer Olliver Zobel, das 18. Interreligiöse Gespräch Ende Februar im Binger Kulturzentrum. Über 50 Interessierte waren zu der von Evangelischem Dekanat und Volkshochschule Bingen organisierten Veranstaltung gekommen, um sich über die Haltung zweier Religionsvertreter des Islams und des Judentums gegenüber diesem wohl weltweit am meistbeachteten Konflikt im Nahen Osten zu informieren und darüber zu diskutieren.

Auf dem Podium saßen neben Dekan Zobel als Moderator, der Imam Mustafa Cimşit (Geschäftsführer des jüdisch-muslimischen Bildungswerkes Maimonides) als Vertreter des Islam, und Rabbi Aharon Ran Vernikovsky, Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz Rheinhessen. Rabbi Vernikovsky machte deutlich wie existentiell der Nahost-Konflikt für alle Juden ist: „Israel ist unsere Lebensversicherung, unser Halt, unsere Hoffnung. Israel ist unser Moment der Auferstehung aus der Diaspora, aus der Verfolgung, aus dem Holocaust. Israel ist das Licht des Judentums.“ Den Nahost-Konflikt sieht er weniger als territorialen Konflikt an. Vielmehr sei er politisch, ja ideologisch, weil er sich aus dem Antisemitismus nähre. So kämpfe Israel seit den 1980er Jahren kaum gegen feindliche Staaten, sondern vielmehr gegen Terrororganisationen, wie die Hamas, die Hisbollah oder den islamischen Jihad. Mittlerweile würden die Kriege von religiösen Führern des Islams geführt, nicht von Politikern.

Als Muslim, betonte Imam Mustafa Cimşit, sei er nicht für oder gegen Israel, genau wie er nicht für oder gegen Deutschland, sondern dafür sei, dass Menschen in Frieden leben und die Staaten ihre eigentliche Aufgabe erfüllen sollten, Recht und Ordnung durchzusetzen. „Es spielt“, so Cimşit, „keine Rolle, wo ich bin, weil wir nach muslimischem Glauben, danach gerichtet werden, was wir tun, wie wir handeln. Auch wenn ich in Deutschland Unrecht sehe, sollte ich dagegen sein. Auch wenn ich in Israel lebe und Unrecht sehe, sollte ich dagegen sein.“ Bei vielen Muslimen, die sich in das Geschehen des Nahost-Konfliktes einmischten, beobachte er, dass das nicht mit Fairness passiere. „Aber das“, so der Imam, „beobachte ich auch bei Anderen. Bei den christlichen wie bei den jüdischen Geschwistern sehe ich ähnliche Tendenzen. Aber das ist menschlich, wenn man dazu neigt, das Leid der vermeintlich eigenen Leute zu überhöhen und das der anderen zu relativieren. Das ist zwar menschlich, aber das ist eine Schwäche, an der man arbeiten und die man korrigieren sollte. Das ist die Herausforderung, gerade in Krisenzeiten.“

Im Laufe der Diskussion wurde aus dem Publikum schließlich die Frage, die schon im Untertitel des „Interreligiösen Gesprächs“ nachzulesen war: „Wie können die Religionen zum Frieden im Nahen Osten beitragen?“ aufgegriffen. Rabbi Vernikovsky als Vertreter des jüdischen Glaubens hatte darauf eine klare Antwort: „Der größte Beitrag der Religion zum Nahost-Konflikt ist, sich am besten aus dem Nahost-Konflikt herauszuhalten. Je weniger Religion, umso besser geht es der Region.“ Dem stimmte Moderator Olliver Zobel zwar grundsätzlich zu, stellte aber gleichzeitig auch fest, dass man als religiöser Mensch das Privileg habe, von einer besseren, friedvolleren Welt träumen zu können: „Denn wir haben diese Träume nicht nur einfach als Fantasien, sondern wir haben die Hoffnung, dass uns diese Träume von Gott ein Stück zugesprochen sind. Und deswegen möchte ich jeden Tag auch wieder aufstehen und für die Träume von Frieden und Gerechtigkeit versuchen zu arbeiten.“