Oppenheim: Musikgottesdienst und Geistliche Musik zur Todesstunde

© Hilke Wiegers

Musikalische Highlights in der Oppenheimer Katharinenkirche am Gründonnerstag und am Karfreitag

(06.03.2025) Auch wenn das Frühlingserwachen schon im Namen zu liegen scheint, so hat der Gründonnerstag doch nichts mit Blüten- und Blattgrün zu tun. Stattdessen klingt darin das “Greinen“, das Klagen der Menschen an. Im Musikgottesdienst im Westchor der Katharinenkirche am 17. April um 20 Uhr, zu dem Pfarrer Eric Bohn einlädt, findet dieser Höhepunkt und gleichzeitig Tiefpunkt der Heiligen Woche seinen Ausdruck in einer weit gespannten musikalischen Dramaturgie.

Vom Madrigal Da Jakob vollendet hatte des rund 100 Jahre vor Bach geborenen Johann Herrmann Schein bis zum Abendlied Josef Rheinbergers findet die Sehnsucht nach Trost und das zeitlose, existentielle Fragen des Menschen nach Gott ihren Ausdruck in musikalisch immer neuer Form.

In erschütternder Weise stellt diese Frage Johannes Brahms in seiner 1878 entstandenen Motette Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen, die er selbst als „kleine Abhandlung über das große Warum“ umschrieb. Wie in seinem 10 Jahre zuvor entstandenen Deutschen Requiem, so fügt er auch hier Texte aus dem Alten und Neuen Testament zu einer Einheit zusammen und findet in den vier Motetten-Sätzen mit dem geistlichen Gehalt korrespondierende musikalische Formen, sei es durch Anlehnung an die barocke Polyphonie, sei es durch seine tief berührende romantische Klangsprache. Im Bibelwort aus dem Jakobusbrief „Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben“, mit dem der dritte Teil der Motette beginnt, scheint das rückhaltlose Vertrauen auf das Erbarmen Gottes auf, wie zuvor im Jesajawort „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ des Requiems. Die in ihrem Kontrast zwischen der vom Tod überschatteten Wirklichkeit unseres Daseins und der Ewigkeit des barmherzigen Gottes als Grund aller menschlichen Hoffnung geprägte Motette von Brahms klingt mit dem Luther-Choral „Mit Fried und Freud fahr ich dahin“ aus. Sie ist ein Requiem in nuce und eines der großartigsten Vokalwerke des 19. Jahrhunderts.  

Mit dem seltener zu hörenden Jesus und die Krämer erklingt ein Werk des ungarischen Komponisten Zoltán Kodály (1882 -1967). Christus in seiner Kompromisslosigkeit, der die vom abtrünnigen Materialismus verrohten Händler im Jerusalemer Tempel vertreibt, steht im Zentrum dieser expressiven Vertonung. Im Original in ungarischer Sprache komponiert, setzte sich Kodály, dem Textverständlichkeit von größter Bedeutung war, ausdrücklich für die Aufführung in deutscher Sprache ein. Unter der Leitung von Propsteikantor Ralf Bibiella präsentiert die Kantorei St. Katharinen die anspruchsvolle, spannungsreiche Komposition. 

In dem Orgel-Choralvorspiel von J.S.Bach zu dem vor 500 Jahren komponierten Kirchenlied „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ nimmt die Geistliche Musik zur Todesstunde Jesu an Karfreitag, dem 18. April um 15 Uhr den Bußgedanken der Karfreitagsliturgie auf. Die ungewöhnlich lange Choralmelodie, vom Komponisten in der Matthäus-Passion groß angelegt und kunstvoll verarbeitet, zeigt sich auch hier in der kleineren Form mit überraschenden harmonischen Wendungen, die Gottes wundersames Handeln am sündigen Menschen in Klang übersetzen.  

Mit der Fantasie und Fuge g-moll (BWV 542) präsentiert Katrin Bibiella an der Woehl-Orgel der Katharinenkirche dann die große Form. Groß in ihrem harmonischen Reichtum, ihrer Ideenvielfalt und ihrer Dramatik. Noch aus Bachs Köthener Zeit, wo er von 1717 – 1723 als Hofkapellmeister des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen wirkte, stammt die Fantasie, die bereits in ihrer Originalität weit in die musikgeschichtliche Zukunft weist. Das melodische Fugenthema, dem holländischen Lied „Ik ben gegroet van“ entlehnt, verarbeitet Bach in einem kühnen harmonischen Satzgeflecht, wobei besonders der Pedalpart in einer bis dahin ungehört brillanten Weise mit den anderen Stimmen kommuniziert.  

Hierzulande kaum bekannt und im Schatten des berühmten Zeitgenossen Marcel Dupré stehend, schuf der belgische Komponist Paul de Maleingreau Orgelwerke von ebenso fulminanter Ausdruckskraft wie der Meister aus dem französischen Nachbarland. Inspiriert durch einen Passionszyklus des altniederländischen Malers Rogier van der Weyden entstand in Maleingreaus 1920 entstandener Symphonie de la Passion op. 20 eine Programmmusik, die die damals extrem revolutionär naturalistische Darstellungskraft und differenzierte Farbigkeit des Alten Meisters kongenial in Klänge umsetzt. Wie einst der Maler, so beleuchtet der Komponist den Weg Jesu nach Golgatha aus verschiedenen Perspektiven. In Dr. Katrin Bibiella an der Woehl-Orgel findet das Werk eine Interpretin, die diesen Facettenreichtum bis in die subtilsten Andeutungen auszuleuchten vermag. Sei es in jenem schwerfälligen Rhythmus, der den quälenden Gang zur Hinrichtung (Marche au Supplice) unterlegt, sei es in der dunkel gefärbten Melodie, in der sich die Trauer Marias und der Jünger ausdrückt. Aber auch die bis zur Raserei erregten Massen, die Jesu Kreuzigung fordern, finden ihren Widerhall und durch die klangfarbenreiche Orgel der Katharinenkirche in einer Intensität, der sich niemand entziehen kann. Mit der in die Gründonnerstags- bzw. Karfreitagsliturgie gehörende gregorianische Melodie Christus factus est, die wie ein Rahmen das musikalische Geschehen umschließt, kommt das Werk Maleingreaus zu einem trostvollen, nahezu erhebenden Ende, in dem eine österliche Ahnung aufscheint.

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